Helmut Rösing (Hamburg)

Männlichkeitssymbole in der (populären) Musik. Eine Spurenlese.

Die Spurenlese nach Männlichkeitssymbolen in der Musik ist gebunden an die Geschichte von Männlichkeitsstereotypen. Üblicherweise lassen sich diese Stereotype verdinglicht bzw. konkretisiert in Texten oder Bildern entdecken. Die meisten Beispiele zu musikalischen Männlichkeitssymbolen sind textgebundener Musik entnommen, und ihre Deutung ist primär text- und nicht musikbezogen. Das ist kein Zufall. Denn bei Musik handelt es sich, im Gegensatz zu Bildern und Sprache, um ein nicht-diskursives Kommunikationsmedium: Der Frage etwa, ob musikalische Strukturen männlich oder weiblich seien, wurden bereits mehrere Tagungen und Sammelbände gewidmet (Loeckle u. Schmidt 1997; Fragner u.a. 1998) – in der Hauptsache mit eher enttäuschenden Ergebnissen. Denn Musik mit ihren Tönen, Klängen, Geräuschen, Harmonien und Rhythmen ist erst einmal und vor allem eins: geschlechtsneutral.

Aber, und hier fängt es an, interessant zu werden: Die Nicht-Diskursivität bzw. Bedeutungsambivalenz von Musik eignet sich hervorragend als Projektionsfläche für Inhalte der verschiedensten Art. Derartige Inhalte werden als semantische Konnotationen mit symbolhafter Qualität bezeichnet. Unser Gehirn arbeitet ständig als eine Instanz, die Sinneseindrücke in symbolische Abbildungen transformiert. Das ist, so die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Susanne Langer bereits 1942, der Ursprung von Sprache, Kunst, Musik, Religion und Ritus.

Bei der Wahrnehmung von Musik ist dieser Transformationsprozess besonders auffallend, weil es hier keine eindeutige begriffliche Vorprägung gibt. Die 'Aufladung' von Musik mit semantischen Spuren und Symbolen kann selbstverständlich vom Musiker bzw. Komponisten beabsichtigt sein und z.B. durch eine Überschrift (bei Programmmusik) oder durch die Verbindung mit Bildern und Handlungen (in der Oper, im Film, im Videoclip) angedeutet werden. Die 'Aufladung' kann aber auch ebenso vom Rezipienten aus vorgenommenen werden - aufgrund persönlicher Erlebnisse und assoziativ-situativer Verkettungen oder aufgrund gesellschaftlich vorgegebener Interpretations- und Verstehensmuster (vgl. Rösing 2000).

Nach einem Exkurs über Männlichkeitsstereotype und die Frage, ob es überhaupt rein musikalische Kennzeichen für Männlichkeit gibt (vgl. Rieger 1981 ) und ob das virile Männlichkeitsstereotyp angesichts veränderter gesellschaftlicher Gegebenheiten (z.B. Emanzipationsbewegung) überhaupt noch empirische Evidenz besitzt (dazu Hofstätter 1957; Reinecke 1967), machen empirische Unter suchungen über die Sonatenhauptsatzform in Beethovens Klaviersonaten deutlich, dass zwar ein Geschlechterkampf in der Sonatenhauptsatzform (so McCleary 1991) nicht stattfindet, dennoch aber die basale Dichotomie 'männlich' - 'weiblich' auch in Beethovens Klaviersonaten eine Rolle spielen mag, und zwar als Projektion und als Metapher, die dann differenziertere Verstehensprozesse auslöst.

Am Beispiel vom Lied als Waffe (Brenner 1992) und der Geschlechterkonstruktion bzw. Dekonstruktion in Pop und Rock (Bloss 1998; Grimm 1998) wird daraufhin angedeutet, wie sehr Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder durch den Umgang mit Musik - und eben nicht über das musikalische Produkt selbst - evoziert werden. Die Art der klanglichen Reproduktion durch Musikerinnen und Musiker, die vielfältigen Möglichkeiten der Präsentation live oder medial, der situative Kontext, in dem Musik zu hören ist und die verbalen Beschriftungen (vom Liedtext bis zum erläuternden Programmzettel) tragen dazu bei, dass bestimmte Musik zum Symbol für Männlichkeit avanciert (z.B. Heavy Metal).

Doch festzuhalten bleibt, dass Musik als ein nicht-diskursives, hochgradig emotional-psychisch wirkendes Medium erst einmal bedeutungsoffen ist und sich konkreten Begrifflichkeiten und Zuschreibungen solange entzieht, wie nicht der musikbezogene Kontext seine prägende Kraft entfaltet (Rösing u. Petersen 2000, S. 73f.). Die musikalischen Ausdrucksqualitäten sind derart reichhaltig und differenziert, dass Musik die z.B. sprachlich und bildnerisch direkt darstellbaren Männlichkeitssymbole hervorragend bereichern und ergänzen kann, sie aber selbst um so weniger zum Ausdruck bringt, je elaborierter, abwechslungsreicher, kunstvoller ihre Struktur ist.
 

Literatur

Bloss, Monika (1998). Geschlecht als multikulturelle Performance? Androgyne Images von Popmusikerinnen und das Spiel mit der 'sexuellen Differenz'. In Fragner, S. u.a. (Hg.), Geschlechterrollen und ihre Bedeutung für die Musikwissenschaft. Regensburg: Con Brio, S. 189-203.

Brenner, Helmut (1992). Musik als Waffe? Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945. Graz: Weishaupt.

Fragner, Stefan u.a. (Hg.) (1998). Geschlechterrollen und ihre Bedeutung für die Musikwissenschaft. Regensburg: Con Brio.

Grimm, Stephanie (1998). Die Repräsentation von Männlichkeit in Punk und Rap. Tübingen: Stauffenburg.

Hofstätter, Peter (1957). Gruppendynamik. Kritik der Massenpsychologie. Reinbek: Rowohlt (2.Aufl. 1990).

Langer, Susanne (1984). Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst. Frankfurt am Main: Fischer (am. Orig.-Ausg. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press 1942)

Loeckle, Wolf u. Schmidt, Michael (Hg.) (1997). Hat Musik ein Geschlecht? Regensburg: Con Brio.

McClary, Susan (1991). Feminine endings: Music, Gender and Sexuality. Minneapolis: University of Minnesota.

Reinecke, Hans-Peter (1967). Über Allgemein-Vorstellungen von der Musik. Eine experimentelle Untersuchung. In Finscher, L. u. Mahling, C.H. (Hg.), Festschrift für Walter Wiora. Kassel: Bärenreiter, S. 31-40.

Rieger, Eva (1981). Frau, Musik und Männerherrschaft. Frankfurt am Main: Ullstein.

Rösing, Helmut (2000). Musikpsychologische Aspekte von Komponistenbildern: Selbstinszenierung - Fremdinszenierung - Legendenbildung. In Harten, U. u.a. (Hg.), Bruckner-Symposium 1998: Künstlerbilder-Bericht. Linz: Musikwiss. Verlag, S. 25-34.

Rösing, Helmut u. Petersen, Peter (2000). Orientierung Musikwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek: Rowohlt.
 

Prof. Dr. Helmut Rösing
Musikwissenschaftliches Institut
Universität Hamburg
Neue Rabenstr.13, 20354 Hamburg