Franz Födermayr (Wien)

Goebel Reeves und Jimmie Rodgers

 

Der große Erfolg von Jimmie Rodgers (1897-1933), dem nach Bill C. Malone (1968, 79; 21985, 77) ersten country singing star, wird allgemein auf seine Art des Jodelns zurückgeführt. In der Tat verleiht das Jodeln, also das Alternieren von Bruststimme und Falsett, dem Repertoire von J. Rodgers eine besondere Note. Von allen von Rodgers eingespielten und zwischen 1927 und 1938 erstmals veröffentlichten 110 Gesängen (Porterfield 1979, 379) enthalten lediglich sechs keine Jodelstellen (Födermayr 1996, 139). Die Gesamtzahl der Jodeleinschlüsse beträgt 326 und diese Jodel lassen sich 36 Melodietypen zuordnen und in fünf Gruppen zusammenfassen. In einem 1957 Fred Hoeptner gegebenen Interview (Hoeptner 1994, [2]) behauptete Goebel Reeves (1899-1959), Anfang der 1920er Jahre Rodgers beigebracht zu haben, wie man jodelt (Porterfield 1979, 43). Wenngleich Porterfield (ebd.) diese Behauptung für eine "wilde Übertreibung, wenn nicht überhaupt für eine Erfindung" hält, erscheint es doch sinnvoll, die Jodel von J. Rodgers (Gesamtausgabe: Bear Family Records, BCD 15540 FI, Hambergen 1992) jenen von Goebel Reeves (Bear Family Records BCD 16680 AH, Hambergen 1994) gegenüberzustellen, wenngleich nicht zu erwarten ist, dass sich daraus zwingende Schlüsse hinsichtlich der Richtigkeit der zitierten Behauptung von G. Reeves ableiten lassen, schon deshalb nicht, weil im Gegensatz zu Rodgers für Goebel Reeves keine Gesamtausgabe zur Verfügung stand. Die Analyse (als Beispiel siehe die angefügte Transkription) geht den schon durch einen bloßen Hörvergleich feststellbaren Parallelen im einzelnen nach und kommt zu folgendem Ergebnis: Es mag sein, dass Rodgers während der gemeinsamen Tournee mit Reeves verschiedenes von diesem gelernt hat bzw. dass verschiedene Jodel von beiden gemeinsam entwickelt wurden. Trotzdem kann kein Zweifel darüber bestehen, dass beide ein eigenständiges Jodel-Repertoire hatten, denn

(1) finden sich verschiedene Jodelsegmente nur bei Reeves und nicht bei Rodgers – insbesondere jene mit uvularem Triller;
(2) besitzt – vorbehaltlich des Umstandes, dass von Reeves nur 26 Titel zur Verfügung standen – umgekehrt das Jodel-Repertoire von Rodgers wesentlich mehr Jodeltypen als jenes von Reeves;
(3) geht Verschiedenes in beiden Repertoires sicher auf gemeinsame Vorbilder (Vaudeville etc.) zurück;
(4) sind nur in wenigen Fällen ganze Jodel von Rodgers mit solchen von Reeves identisch. Es ist vielmehr so, dass in den meisten Fällen die Übereinstimmungen sich auf Jodelsegmente beziehen, die dann bei beiden unterschiedlich zusammengesetzt sind;
(5) ist darauf hinzuweisen, dass sich der Jodelstil beider Sänger im Charakter unterscheidet: auf der einen Seite der Stil von Jimmie Rodgers, ausgefeilt mit deutlich metrisierter Begleitung, großer Typenvielfalt und Variantenreichtum, eindringlich und angreifend, auf der anderen Seite jener von Goebel Reeves, gekennzeichnet durch häufiges Rubato, das nicht selten direkt rhapsodisch wirkt, und zum Teil eine Virtuosität, die mehr in Richtung eines kalten Manierismus geht.

 

Notenbeispiel
Der Typus 1D von Reeves entspricht in seinem ersten Teil der Variante zwei des Typs 1E von Rodgers, der zweite Teil findet seine Entsprechung in einem anderen Jodel von Rodgers (CD 5/22a und b), nämlich der Variante 3 des Typs 1B1



Literatur

Födermayr, Franz (1996). Zur Jodeltechnik von Jimmie Rodgers: Ein seltener Jodeltyp. In Jazzforschung 28, S. 139-150.

Hoeptner, Fred (1994). Goebel Reeves. In Goebel Reeves: Hobo's Lullaby. Bear Family Records BCD 15680 AH, Hambergen.

Malone, Bill C. (1968). Country Music U.S.A.: A fifty-year History (Publications of the American Folklore Society. Memoir Series, Vol. 58). Austin: Univ. of Texas Press.

Malone, Bill C. (1985). Country Music, U.S.A. Rev. ed. Austin: Univ. of Texas Press.

Porterfield, Nolan (1979). The Life and Times of America's Blue Yodeler Jimmie Rodgers (Music in American Life 15). Urbana: Univ. of Illinois Press.
 

Prof. Dr. Franz Födermayr

Institut für Musikwissenschaft

Spitalgasse 2-4, A-1019 Wien

Email: Franz.Foedermayr@univie.ac.at